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Aufgabe |
Wie lang ist die Reise vom Aequator zu einem Polarkreis ? |
Um von einem Punkt auf dem Erdäquator auf kürzestem Weg zu einem Polarkreis zu gelangen, müsste man entlang eines Meridianbogens, also direkt nordwärts oder direkt südwärts reisen. Zur Berechnung der Länge dieser Reise muss man sich auf ein geometrisches Modell der Erde stützen.
Für unsere Zwecke bieten sich verschiedene mögliche Modelle an:
(1.) (altes) Kugelmodell:
Die Einheit Meter für unsere Längenmessung sollte ursprünglich dem zehnmillionsten Teil eines Meridianbogens entsprechen, der von einem Punkt des Aequators zu einem Pol führt.
(2.) Erde als Rotationsellipsoid:
Die wirkliche Form der Erde wird besser durch ein Rotationsellipsoid dargestellt, dessen axialer Querschnitt durch eine Ellipse mit Halbachsen a und b (siehe unten) beschrieben wird.
(3.) (korrigiertes) Kugelmodell:
Leider schlichen sich bei den trigonometrischen Vermessungen und Berechnungen im 18.Jh. kleine Fehler ein, welche dazu führten, dass die ermittelte Länge des (Ur-) Meters nicht exakt der intendierten Idee entsprach. Wie lang würde unsere Reise vom Aequator zum Rand der Polarzone, wenn die wahre Gesamtlänge eines Viertelmeridians wirklich der Länge entspräche, wie man sie aus dem Ellipsenmodell (2.) erhält - wir aber trotzdem mit einem Kugelmodell rechnen ?
(4.) Abweichungen ?
Nun interessieren natürlich vor allem die Abweichungen zwischen den Ergebnissen, die man nach den unterschiedlichen geometrischen Modellen erhält.
Für die Berechnungen muss man also die Längen für zwei Kreisbögen und für einen Ellipsenbogen berechnen.
Notwendige Daten:
Die beiden Polarkreise sind die Breitenkreise auf 66.56° (nördlicher bzw. südlicher) Breite.
Aequator-Radius a ≈ 6378.14 km
Polar-Radius b ≈ 6356.75 km
(5.) Zusatzfrage:
Leider findet man im Netz an vielen Stellen die Angabe, die Abstände der Breitenkreise (von Grad zu Grad) seien konstant (ungefähr 111.13 km) . Das stimmt aber nicht exakt - nur auf der Kugel wäre es exakt so. Meine Zusatzfrage wäre deshalb:
Auf welcher geographischen Breite hätte ein Schiff, das vom Aequator einem Meridian entlang zum Nordpol fährt (die Reise müsste wohl durch die Beringstraße führen ...), genau den halben Weg zurückgelegt ? Wie weit (in km) ist dieser Halbierungspunkt vom 45. Breitengrad entfernt ?
Viel Vergnügen beim Skizzieren, Überlegen und Rechnen !
Al-Chwarizmi
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Status: |
(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 17:20 Mo 30.03.2020 | Autor: | matux |
$MATUXTEXT(ueberfaellige_frage)
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Liebe Geometrie-Liebhaber
Ich hatte diese Aufgabe hier als Denkanregung für alle eingebracht, die sich eine vermeintlich bekannte Tatsache aus der Geographie mal etwas genauer überlegen möchten. Eine stattliche Anzahl von Euch hat sich die Aufgaben wenigstens einmal angeschaut. Reaktionen sind nicht eingetroffen - was ich aber auch nicht schlimm finde.
Nachdem die Zeit für Antworten abgelaufen ist, fühle ich mich doch irgendwie verpflichtet, nun ein paar Lösungen selber zu präsentieren. Zeit zur Lektüre haben im Moment ja bestimmt viele von Euch.
(1.) (altes) Kugelmodell:
Wäre ein Meridianbogen vom Aequator zum Pol tatsächlich exakt 10 Millionen Meter lang (entsprechend der ursprünglichen Intention der Meter-Definition), so hätte man natürlich für die Reise vom Aequator zu einem Polarkreis eine Strecke (Kreisbogenlänge) von
$\ B\ =\ [mm] \frac{66.56^\circ}{90 ^\circ}* [/mm] 10000\ km = 7395.56\ km $
zurückzulegen.
(2.) Erde als Rotationsellipsoid:
Um den Meridianbogen geometrisch darzustellen, verwendet man am besten die Parameterdarstellung:
$\ [mm] \qquad \qquad \begin{cases} r(t) = a*cos(t) \\ z(t) = b*sin(t) \end{cases} [/mm] $
Dabei hängt der geographische Breitenwinkel [mm] $\varphi$ [/mm] mit dem Parametrisierungswinkel t folgendermaßen zusammen:
$\ [mm] tan(\varphi)\ [/mm] =\ [mm] \frac{a}{b} \cdot [/mm] tan(t)$
Für die gesuchte Bogenlänge B (von $\ [mm] \varphi\ [/mm] =\ 0$ bis $\ [mm] \varphi\ [/mm] =\ [mm] \pi *66.56^\circ/180^\circ)$ [/mm] erhält man dann:
$\ B\ [mm] \approx\ \red{7385.28}\ [/mm] km $
Zum allfälligen Nachrechnen gebe ich noch das Integral an, mit dem man die Meridianbogenlänge [mm] B($\varphi [/mm] $) vom Äquator bis zu einem Breitenwinkel [mm] $\varphi [/mm] $ berechnen kann:
$\ [mm] B(\varphi)\ [/mm] =\ [mm] \integral_{t=0}^{arctan\left(\frac{b}{a}\cdot tan(\varphi)\right)} \sqrt{(a*sin(t))^2+(b*cos(t))^2}\ [/mm] dt$
(3.) (korrigiertes) Kugelmodell:
Die (Meridian-) Ellipse mit den Halbachsen a und b (Maße wie angegeben) hat einen Umfang von 40007.87 km (die Rechnung habe ich jetzt Wolfram Alpha überlassen). Für die Reise vom Aequator zu einem Polarkreis ergäbe sich (mit der nicht ganz richtigen Annahme, dass die Breitenkreise konstante Abstände haben) eine Bogenlänge von etwa $\ 7397.01\ km$ .
(4.) Abweichungen ?
Die sich ergebenden Abweichungen nach den verschiedenen Modellen sind nun offensichtlich. Sie liegen doch im Bereich von ein paar Kilometern.
(5.) Zusatzfrage:
Der Halbierungspunkt eines Meridianbogens vom Aequator zu einem Pol liegt nicht genau bei der geographischen Breite 45° (wie man nach dem Kugelmodell annehmen müsste) sondern etwa [mm] $\red{16 \ km}$ [/mm] weiter polwärts, bei einer Breite von ungefähr 45°8'40" .
(4.) Ergänzung, Korrektur
Leider sind mir bei der ersten Fassung doch noch gewisse Fehler unterlaufen. Ich habe nun die korrigierten Werte in roter Farbe eingetragen.
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Zur Kontrolle habe ich den über die Pole gemessenen Umfang der Erde auch bei WolframAlpha nachgeschaut - einer von mir gerne und oft verwendeten Quelle.
Polarumfang der Erde
Das da gelieferte Ergebnis kann meiner Meinung (und meiner Rechnung) nach nicht stimmen, es ist eindeutig zu klein.
Bei Wolfram kann man sich den Umfang einer Ellipse auch aus den beiden Halbachsen berechnen lassen. Führt man dies (mit den ebenfalls bei Wolfram zu findenden) Halbachsen (Äquatorial- und Polarradius der Erde) durch, so kommt man auf den (korrekten) polaren Umfang 40007.9 km .
Nachtrag: Inzwischen habe ich gemerkt, wie dieses offensichtlich falsche Resultat zustande gekommen sein muss. Dividiert man den angeblichen "polaren Umfang" der Erde durch $\ [mm] 2\,\pi [/mm] $ , so erhält man den polaren Radius der Erde (gemessen vom Erdmittelpunkt zu einem Pol) bzw. die kleine Halbachse der Meridianellipse. Der angebliche "polare Umfang der Erde" entspräche also dem Umfang einer dem Erdellipsoid einbeschriebenen Kugel !
Dass die auch bei Wolfram so gravierende Fehlüberlegungen durchgehen lassen, hätte ich mir bis jetzt nicht vorstellen können.
Leider habe ich aber noch nicht herausgefunden, an welche Adresse man sich wenden müsste, um einen derartigen (meiner Meinung nach doch recht schlimmen) Fehler zu melden ...
Al-Chwarizmi
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