Bonhoeffer < Religion < Geisteswiss. < Vorhilfe
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Hallo,
ich soll einen Text beartbeiten, der auf einem von B. gehaltenen Vortrag basiert
Ich habe ein Verständnisproblem mit einem Satz in diesem Vortrag:
"Sie (Die Kirche ) vermag freilich den einzelnen sich dazu aufgerufen wissenden Christen nicht daran zu hindern, den Staat gegebenenfalls als "unhuman" anzuklagen, aber sie wird als Kirche nur danach fragen, ob der Staat Ordnung und Recht schafft oder nicht."
Daran verwirrt mich :
1. Warum beschränkt B. seine Zugeständnisse auf Christen? Ist dies ein reiner Verwaltungsproblem : Ev.Kirche ist nur für Ev. Christen zuständig, und er lässt den Zusatz Evangelisch für selbstverständlich, so das er ih einfach weglässt?
Oder gibt er allen Christen dieses Recht und schließt andersgläubige aktiv aus ?
2. Soll "aufgerufen wissend" bedeuten, dass die Kirche dem einzelnen das Recht zugesteht einen Humanen Maßstab ausserhalb der Christlichen Lehrmeinung anzulegen, oder dass die Kirche sich als Institution eben nur einsetzt, wenn der Staat seine Aufgabe nicht erfüllt.
Für eine Interpretationshilfe, Gedankenstützen bin ich wie immer sehr dankbar.
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Hallo Windbeutel,
etwas mehr Information zur Quelle wäre hilfreich. Ist das vom April 1933, "Die Kirche vor der Judenfrage"?
Bonhoeffer hat in seiner Wirkungszeit eine erhebliche Entwicklung durchgemacht, so dass eine Datierung schon wichtig wäre. Da alle Texte noch bis mindestens 2015 urheberrechtlich geschützt sind, findet man auch noch längst nicht alles per Internet, und meine Werkausgabe durchzusehen fehlt mir die Zeit.
> Hallo,
> ich soll einen Text beartbeiten, der auf einem von B.
> gehaltenen Vortrag basiert
> Ich habe ein Verständnisproblem mit einem Satz in diesem
> Vortrag:
>
> "Sie (Die Kirche ) vermag freilich den einzelnen sich dazu
> aufgerufen wissenden Christen nicht daran zu hindern, den
> Staat gegebenenfalls als "unhuman" anzuklagen, aber sie
> wird als Kirche nur danach fragen, ob der Staat Ordnung und
> Recht schafft oder nicht."
>
> Daran verwirrt mich :
> 1. Warum beschränkt B. seine Zugeständnisse auf
> Christen? Ist dies ein reiner Verwaltungsproblem :
> Ev.Kirche ist nur für Ev. Christen zuständig, und er
> lässt den Zusatz Evangelisch für selbstverständlich, so
> das er ih einfach weglässt?
> Oder gibt er allen Christen dieses Recht und schließt
> andersgläubige aktiv aus ?
Definitiv kein "Verwaltungsproblem". B. hatte schon in seiner Dissertation "Sanctorum Communio" (Gemeinschaft der Heiligen) 1927 deutlich gemacht, dass - ganz gemäß lutherischer Lehre - die Kirche im dogmatischen Sinn nicht identisch mit der institutionellen Kirche ist. Er gehörte zu einer jungen Generation von Theologen, die weit über die Grenzen der Konfessionen hinweg dachte, aber nur wenig über die Grenzen des Christentums hinaus (anders als sein schottischer Zeitgenosse Lesslie Newbigin). Das war einfach nicht sein Thema, es war ihm zu weit, und es gab genug innerhalb des Christentums zu klären.
Wenn Bonhoeffer aber von "Kirche" redet, so beschränkt er sich an keiner Stelle auf eine konfessionell konstruierte Institution. Gemeint ist also nie nur "die" evangelische Kirche (die es auch als solche Einheit bis heute nicht gibt!).
> 2. Soll "aufgerufen wissend" bedeuten, dass die Kirche dem
> einzelnen das Recht zugesteht einen Humanen Maßstab
> ausserhalb der Christlichen Lehrmeinung anzulegen, oder
> dass die Kirche sich als Institution eben nur einsetzt,
> wenn der Staat seine Aufgabe nicht erfüllt.
Ja, in jeder evangelischen Ethik und besonders auch der Bonhoeffers ist Ethik immer die Sache des einzelnen. Die Kirche kann da einen Rahmen vorgeben (allerdings immer nur anhand des biblisch gegebenen Rahmens!), aber sie hat kein Mandat, dem Individuum eine Gewissensentscheidung vorzugeben. Als Institution, als Gemeinschaft der Gläubigen, als "unsichtbare Kirche" (die anders und größer ist als die sichtbare, die ecclesia visibilis) hat sie aber die Rolle, dem Staat als eigene Größe gegenüberzutreten.
Dies ist sogar ihre Pflicht, und gerade in ethischen Fragen ist ihr hier eine Aufgabe gegeben. Auch wenn die geschaffene Welt in "zwei Reiche" (Duchrow: zwei Herrschaftsbereiche) zerfällt, so haben diese doch eine gemeinsame Grenze, wenn nicht gar einen Bereich der Überschneidung. Das Eindringen des Staates in den Bereich der Kirche ist dabei genauso von der Hand zu weisen (siehe Barmer Erklärung 1934), wie der umgekehrte Fall (dto.).
Insofern ist die Frage der "Humanität des Staates" für ihn eben keine kirchliche, aber sehr wohl eine christliche. Die Kirche aber soll sich auf die Einhaltung von Römer 13 beschränken.
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So wegweisend Bonhoeffers Positionierung war und so sehr wir uns heute in die Tradition seiner Deutungsgeschichte stellen, so klar ist aber auch, dass wir heute Gerechtigkeit (im biblischen Sinn), aber auch Menschenrechte (in der Folge der französischen Revolution) als Maßstab nehmen und der Kirche gerade in diesen Fragen ein allein von Gott gegebenes prophetisches Amt zumessen.
Darin würden wir den von Dir angeführten Sätzen Bonhoeffers heute wohl nicht mehr ganz zustimmen, sondern auch der Kirche die Aufgabe zuschreiben, der Humanität oder Inhumanität des Staates korrigierend entgegen zu treten. Das war auch Bonhoeffers Überzeugung, m.E. etwa ab Frühjahr 1934. Daher auch meine Vermutung, dass das Zitat aus dem o.g. Vortrag von 1933 stammt. Richtig?
> Für eine Interpretationshilfe, Gedankenstützen bin ich
> wie immer sehr dankbar.
Grüße
reverend
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(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 13:01 So 27.05.2012 | Autor: | Windbeutel |
Danke für deine Ausführung, dass hat mir wirklich sehr weitergeholfen.
Leider haben wir der Entwicklungsprozess Bonhoeffers im Unteriicht nicht behandelt.
Deine Vermutung war richtig, es ist ein Auszug aus "Die Kirche vor der Judenfrage" vom April 33.
Ich hatte versucht mehr Informationen darüber im der Bücherei zu finden, aber da gab es nur Bonhoeffer Biographien und von denen ging nur eine auf den Vortrag ein (und das auch nur kurz).
Danke nochmal für deine Informationen.
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