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Aufgabe | Für alle Interessierten mit Hintergrund in Integralrechnung und etwas Physik möchte ich eine interessante Aufgabe stellen, die nicht allzu schwere Anforderungen stellt.
Schon lange gibt es die Idee, einen Weltraumlift oder "Space Elevator" zu konstruieren, um anstatt mittels Raketen mit einem gewöhnlichen Aufzug von der Erde aus z.B. zu einer Raumstation in einer geostationären Umlaufbahn zu gelangen. |
Die technischen Schwierigkeiten, diese Idee zu realisieren, sind zwar gewaltig und vielleicht nie überwindbar - aber eine mathematische Berechnung zum Thema ist recht anregend. Es geht um die Berechnung der minimalen Länge eines (theoretisch) absolut unzerreißbaren Seils, das vom Erdboden aus senkrecht in die Höhe, durch die Atmosphäre und in den Weltraum hinaus gespannt werden soll. Das Seil habe eine durchwegs konstante "Längendichte" $ [mm] \rho [/mm] $ der Dimension [ $ [mm] \rho [/mm] $ ] = kg / m .
Auf das Seil wirken dann einerseits Gravitationskräfte (gemäß Newtonschem Gravitationsgesetz) und ferner Fliehkräfte infolge der Erddrehung (wobei wir vereinfachend annehmen, dass sich das Raumseil ständig radial ausgespannt mit der Erde mitdreht). Wir nehmen auch an, dass die gesamte Masse des Seils gegenüber der Erdmasse absolut vernachläßigbar sein soll (damit es nicht etwa die Erdrotation in Unwucht versetzen kann).
Nun stellt sich die Frage, wie lang das Seil (von dem Verankerungspunkt an der Erdoberfläche bis zu seinem Ende weit draußen im All) mindestens sein müsste, damit die gesamte Fliehkraft die gesamten Schwerkräfte gerade aufhebt.
Hinweise: Die auftretenden Integrale sind recht elementar, und am Ende stößt man für die Berechnung der minimalen Länge L des Raumseils auf eine gewöhnliche quadratische Gleichung.
Ich biete diese Aufgabenstellung hier also nicht an, weil sie schwierig, sondern weil sie mit erstaunlich einfachen Mitteln zu lösen ist.
Viel Vergnügen !
(Das Ergebnis, also die minimal nötige Länge des Raumseils, kann man in Beiträgen zum Thema im Internet durchaus finden. Aber die Rechnungen selber geschafft zu haben, gibt einfach ein sehr gutes Gefühl !)
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Guten Tag an alle, die hier mal noch reingucken !
Ich habe nun versucht, den Lösungsweg zu dieser nach meiner Meinung sehr schönen Physik- und Matheaufgabe so elegant darzustellen, wie mir das etwa möglich ist.
Bezeichnungen:
M = Masse der Erde ≈ $\ 5.9723 [mm] \cdot 10^{24}\ [/mm] kg$
R = Erdradius (am Aequator) ≈ $\ 6378.1\ km$
L = Länge des Raumseils
(vom Verankerungspunkt am Aequator bis zum Ende weit draußen im All)
S := R + L
x : Ortskoordinate für die Integration über dem Intervall [R,S]
[mm] $\gamma$ [/mm] = Allgemeine Gravitationskonstante ≈ $\ 6.6742 [mm] \cdot 10^{-11}\ \frac{m^3}{kg \cdot s^2}$
[/mm]
[mm] $\omega$ [/mm] = Winkelgeschwindigkeit der Erdrotation (siderisch) ≈ $\ [mm] 7.2921\cdot 10^{-5}\ [/mm] Hz$
[mm] $\rho$ [/mm] = Längen-Dichte des Raumseils ( Maßeinheit [mm] $\frac{kg}{m}\,$ [/mm] )
Für die gesamte Schwerkraft, welche die Erde auf das Seil ausübt, gilt nun:
$\ [mm] F_{grav.}\ [/mm] =\ [mm] \integral_{R}^{S} \gamma \cdot \frac{M \cdot \rho}{x^2}\ [/mm] dx\ \ =\ \ [mm] \gamma\ [/mm] * M * [mm] \rho [/mm] * [mm] \left[\frac{-1}{x}\right]_{R}^{S}\ [/mm] \ =\ [mm] \gamma\ [/mm] * M * [mm] \rho [/mm] * [mm] \left(\frac{1}{R} - \frac{1}{S} \right)$
[/mm]
Die gesamte auf das Seil wirkende Zentrifugalkraft infolge der Rotation ist:
$\ [mm] F_{fug.}\ [/mm] =\ [mm] \integral_{R}^{S} [/mm] x * [mm] \omega^2 [/mm] * [mm] \rho\ [/mm] dx\ \ =\ \ [mm] \rho [/mm] * [mm] \omega^2 [/mm] * [mm] \left[\frac{x^2}{2}\right]_{R}^{S}\ [/mm] \ =\ [mm] \frac{\rho * \omega^2}{2}\ [/mm] * [mm] \left(S^2 - R^2\right)$
[/mm]
Gleichsetzen von $\ [mm] F_{grav.}$ [/mm] und $\ [mm] F_{fug.}$ [/mm] führt auf eine Gleichung, aus welcher man den gemeinsamen Faktor [mm] $\rho$ [/mm] sofort rauskürzen kann. Damit hat man:
[mm] $\gamma\ [/mm] * M * [mm] \left(\frac{1}{R} - \frac{1}{S} \right)\ [/mm] \ =\ \ [mm] \frac {\omega^2}{2}\ [/mm] * [mm] \left(S^2 - R^2\right)$
[/mm]
[mm] $\gamma\ [/mm] * M * [mm] \left(\frac{S-R} {R*S} \right)\ [/mm] \ =\ \ [mm] \frac {\omega^2}{2}\ [/mm] * [mm] \left(S^2 - R^2\right)$
[/mm]
Nun kann man noch mit (S-R) kürzen und kommt zur Gleichung:
[mm] $\gamma\ [/mm] * M * [mm] \left(\frac{1} {R*S} \right)\ [/mm] \ =\ \ [mm] \frac {\omega^2}{2}\ [/mm] * [mm] \left(S+R\right)$
[/mm]
$ [mm] \underbrace{\frac{2*\gamma\ * M}{\omega^2}}_A\ [/mm] \ =\ \ \ R*S * (S+R)$
Mit der Abkürzung A für die Konstante auf der linken Seite haben wir also schließlich für die gesuchte Größe S die quadratische Gleichung:
$\ R * [mm] S^2 [/mm] + [mm] R^2 [/mm] * S - A = 0$
Von den beiden Lösungen:
$\ [mm] S_{1,2}\ [/mm] =\ [mm] \frac{-R^2 \pm \sqrt{R^4 + 4*A*R}}{2 * R}$
[/mm]
kommt natürlich nur die positive in Frage, also:
$\ S\ =\ [mm] \frac{\sqrt{R^4 + 4*A*R }-R^2}{2 R}$
[/mm]
Durch Einsetzen der oben angegebenen Zahlenwerte erhält man:
$\ A\ =\ [mm] 1.4992*10^{23}\, m^3 [/mm] \ =\ [mm] 1.4992*10^{14}\, km^3$
[/mm]
$\ S\ [mm] \approx\ [/mm] 150159\ km $
Damit verbleiben für die Länge L des Raumseils (gerundet) :
L = S - R ≈ 143780 km
Das Raumseil müsste also etwa viermal so hoch über dem Aequator enden
als es der "Flughöhe" von geostationären Kommunikationssatelliten entspricht.
So, und jetzt noch beste Wünsche an Euch alle in dem "Hausarrest", den wir
uns nicht selber ausgesucht haben. Bleibt gesund und interessiert !
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